AG Kausale Inferenz

Das Verständnis von kausalen Pfaden und Ursache-Wirkungs-Beziehungen ist eine Hauptaufgabe für die Versorgungsforschung. So versucht die Versorgungsforschung evidenzbasierte, handlungsleitende Empfehlungen für die Routineversorgung zu formulieren. Hierfür benötigt es aber ein besseres, möglichst präzises Verständnis der Ursache-Wirkungsbeziehungen der Handlungen und Interventionen („last mile“). Aufgrund der hohen Komplexität des Forschungsgegenstandes und der breiten Palette an Interventionsmöglichkeiten (Mikro-, Meso- und Makrolevel-Interventionen jeweils in den Dimensionen Produkt-, Prozess-, Strukturintervention) erfordert die Beurteilung von Kausalbeziehungen in der Versorgungsforschung einen Methodenpluralismus, bei dem neben klassischen empirisch-quantitativen Studiendesigns, wie zum Beispiel randomisierten kontrollierten Interventionsstudien (Ward 2009) und beobachtenden Kohortenstudien, vor allem auch Mixed-Methods Ansätze und qualitative Studiendesigns gefordert sind. Hinzu kommt, dass nicht für alle (kausalen) Fragestellungen die klassischen randomisierten Designs sinnvoll oder überhaupt möglich sind (Pfaff und Schmitt 2021). Das trifft insbesondere für komplexe Interventionen auf Meso- oder Makrolevel sowie für Strukturinterventionen zu (Pfaff und Schmitt 2024). Auch in solchen Fällen ist jedoch ein tieferes Verständnis der kausalen Wirkmechanismen in Studien- und Zielpopulation unumgänglich. Das Wissen zu den Wirkmechanismen (mechanistische Evidenz) entsteht durch die Verknüpfung von Theorien mit qualitativen und quantitativen empirischen Ansätzen.

Ziele und Aufgaben

Die AG „Kausale Inferenz“ des DNVF setzt sich für ein tieferes Verständnis von Ursache- Wirkungsbeziehungen in der Versorgungsforschung ein. Dieses Kausalwissen kann sowohl grundlagenwissenschaftlich genutzt werden als auch anwendungsorientiert zur Gestaltung, Evaluation und Implementierung von Versorgungsinterventionen. Eine Kernaufgabe der AG ist es, Theorien und empirische Methoden zur Bewertung der Wirksamkeit zu integrieren (Pfaff und Schmitt 2023). Dieser Anspruch soll durch die Anwendung, Weiterentwicklung, Verbreitung und Erarbeitung von Methoden der kausalen Inferenz erfüllt werden, darunter Ansätze wie Target Trial Emulations auf Basis versorgungsnaher Daten (Parkkinen et al. 2018), Quasi-Experimente, qualitative Studien zu (z.B. Humphreys und Jacobs 2023) sowie Kausalgraphen und deren Anwendung (VanderWeele und Robins 2009) in der Versorgungsforschung.
Weitere Ziele der AG umfassen die Anwendung und Weiterentwicklung des EbM+ Ansatzes für eine stärkere Integration von Theorien, die Entwicklung von methodischen Standards zur Durchführung mechanistischer Studien in der Versorgungsforschung, die Entwicklung, Testung und Konsentierung eines Rahmenkonzepts für kausale Schlussfolgerungen und Empfehlungsstärken für die Versorgungsforschung, sowie die Unterstützung der Fort- und Weiterbildungsaktivitäten des DNVF.

Literaturverzeichnis

Humphreys, Macartan; Jacobs, Alan M. (2023): Integrated Inferences: Cambridge University Press.

Parkkinen, Veli-Pekka; Wallmann, Christian; Wilde, Michael; Clarke, Brendan; Illari, Phyllis; Kelly, Michael P. et al. (2018): An Introduction to Mechanisms. In: Veli-Pekka Parkkinen, Christian Wallmann, Michael Wilde, Brendan Clarke, Phyllis Illari, Michael P. Kelly et al. (Hg.): Evaluating Evidence of Mechanisms in Medicine. Cham: Springer International Publishing (SpringerBriefs in Philosophy), S. 11–21.

Pfaff, Holger; Schmitt, Jochen (2021): The Organic Turn: Coping With Pandemic and Non-pandemic Challenges by Integrating Evidence-, Theory-, Experience-, and Context-Based Knowledge in Advising Health Policy. In: Frontiers in public health 9, S. 727427. DOI: 10.3389/fpubh.2021.727427.

Pfaff, Holger; Schmitt, Jochen (2023): Reducing uncertainty in evidence-based health policy by integrating empirical and theoretical evidence: An EbM+theory approach. In: Journal of evaluation in clinical practice 29 (8), S. 1279–1293. DOI: 10.1111/jep.13890.

Pfaff, Holger; Schmitt, Jochen (2024): Von der theoretisch besten Evidenz zur praktisch besten Evidenz: ein Ansatz zur Überwindung des Strukturkonservatismus in der evidenzbasierten Medizin und Gesundheitspolitik. In: Gesundheitswesen (Bundesverband der Arzte des Offentlichen Gesundheitsdienstes (Germany)) 86 (S 04), S239-S250. DOI: 10.1055/a-2350-6435.

Van der Weele, Tyler J.; Robins, James M. (2009): Minimal sufficient causation and directed acyclic graphs. In: Ann. Statist. 37 (3). DOI: 10.1214/08-AOS613.

Ward, Andrew C. (2009): The role of causal criteria in causal inferences: Bradford Hill's "aspects of association". In: Epidemiologic perspectives & innovations : EP+I 6, S. 2. DOI: 10.1186/1742-5573-6-2.

Sprecher:innen der AG